Drunter und drüber in Hamburg
Eine Reise zur Paternoster-Hochburg Europas
Dort wo einst der erste Paternosteraufzug am europäischen Festland in Betrieb genommen wurde, sind auch heute noch die meisten Anlagen dieser Art in Betrieb. Und es könnte bald wieder einer mehr sein. Bei meinem Besuch treffe ich Kunsthistoriker Robin Augenstein, welcher mich mit der Stadt- und Paternostergeschichte vertraut macht.

Die letzten Reste des „alten“ Hamburg am Nikolaifleet
Hamburg in der Vorweihnachtszeit ist schon etwas Tolles. Am Rathausmarkt befindet sich der Weihnachtsmarkt kurz vor der Eröffnung, die imposanten Kontorhäuser mit ihren Backsteinfassaden verstärken die Stimmung noch zusätzlich. Das Schreien der Möwen am Ufer der Alster lässt leichtes Fernweh aufkommen.

Rathaus Hamburg
Aber natürlich bin ich nicht nur wegen der Weihnachtsstimmung hier. Wer sich für Paternosteraufzüge begeistern kann, ist hier an der richtigen Adresse. Denn die Hansestadt war und ist eine Hochburg für diese besondere Art von Aufzügen.
Crashkurs Paternoster
Bei einem Paternoster, oder fachlich richtig bezeichnet Personen-Umlaufaufzug, sind mehrere Kabinen im Einsatz, welche, ohne stillzustehen, in Bewegung sind. Ihr könnt euch das wie eine vertikale Rolltreppe vorstellen. Die Kabinen sind an zwei umlaufenden Ketten befestigt und verkehren in zwei neben einender liegenden Schächten. Am oberen und unteren Ende werden die Kabinen von einem Schacht in den anderen umgesetzt.
1876 wurde erstmals ein Rundum-Förderwerk mit ähnlichem Design, allerdings für Pakete, im General-Post Office in London eingebaut. Durch den großen Zuspruch der Postbeamten wurde daraus ein Personenaufzug weiterentwickelt, der 1883 in Betrieb ging. Der Paternoster-Aufzug war geboren und trat nur wenige Jahre später seinen Siegeszug in Hamburg an.
Die Bezeichnung Paternoster leitet sich vom Vergleich des Rosenkranz Betens ab. So wie die Kugeln an einer Schnur aufgefädelt sind, sind es auch die Kabinen an den Ketten. Es hat also nichts mit dem Beten aus Angst vor einer Fahrt zu tun.

Paternoster Konstruktionsschema
Etwas Sightseeing muss sein
Am Fuße des Hamburger Rathausturmes treffe ich Robin Augenstein, welcher mich eingeladen hat. Robin promoviert gerade an der Uni Hamburg zum Thema Historische Aufzugsanlagen als kunst- und technikgeschichtliche Denkmale und hatte gemeinsam mit seinem Professor eigentlich zu diesem Thema einen Workshop an der Universität geplant. Leider musste dieser aus bekannten Gründen verschoben werden. Einen Besuch und Exkurs durch die Stadt wollte ich mir dennoch nicht entgehen lassen.
In Hamburg ist es einfach sich zu orientieren. Die Struktur der inneren Stadt hat sich über die Jahrhunderte kaum verändert, erzählt mir Robin am Weg zum Nikolaifleet wo sich der erste Hafen befunden hat. Fleet nennen sich schiffbare Wasserkanäle in Norddeutschland.

Robin erklärt den Aufbau Hamburgs
Schau, die Wasserläufe haben sich kaum verändert bis heute. Du kannst dich in der Altstadt also auch mit einem über 350 Jahre alten Plan gut orientieren, zeigt mir Robin anhand von historischem Kartenmaterial.
Den alten Hafen gibt es hier schon lange keiner mehr, dafür hat sich die Reederei Laeisz hier 1897-98 ihren Hauptsitz errichtet. Den Laeiszhof, ein sogenanntes Kontorhaus.

Fassade Laeiszhof
In dem prestigeträchtigen Gebäude mit seinem weitläufigen Treppenhaus und Lichthof ist auch heute noch ein Paternoster am Laufen. Die bereits bei der Eröffnung verbaute Anlage nach dem Zweiten Weltkrieg erneuert und präsentiert sich heute im Design der 1950er Jahre.

Innenaufnahme Laeiszhof
Hamburg und das Kontorhaus
Dieser aus Nordamerika stammende Gebäudetyp wurde ausschließlich für die Unterbringung von Büroräumlichkeiten konzipiert und setzte sich ab 1886 besonders in Hamburg durch.
Durch eine gleichwertige Ausstattung aller Räumlichkeiten und flexible Einteilung der Räume waren diese ersten Bürohäuser speziell für die Unterbringung verschiedener Firmen vorgesehen. Alle Räume sollten genau gleiche Grund- und Fensterflächen und denselben Komfort aufweisen, um sie gleichwertig vermieten zu können.
Der Dovenhof an der Brandstwiete war das erste Kontorhaus in Hamburg und wurde am 1. Mai 1886 eröffnet. Mit damals modernster Technik wie Telefon, Zentralheizung und auch der ersten Paternosteranlage am europäischen Festland , welche noch mit einer Dampfmaschine angetrieben wurde. Das Gebäude überlebte die Kriegsereignisse unbeschadet, fiel jedoch leider der Abrisswut 1967 zum Opfer.
Quelle: <a href=“//de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Pincerno“ title=“Benutzer:Pincerno“>pincerno</a>, PD-alt-100, Link
Das Stadtbild der Hamburger Innenstadt wandelte sich durch die neuen Kontorhäuser stark. Die Wohnnutzung verschob sich in die neuen Vororte, welche im ausgehenden 19. Jahrhundert durch große Ingenieurleistungen trockengelegt und so bebaubar gemacht werden konnten.
In den 1920er Jahren entstand zusätzlich ein eigenes Kontorhausviertel, welches heute Teil des UNESCO Welterbes ist. Dort befindet sich auch ein Wahrzeichen Hamburgs, das Chilehaus.

Chilehaus
Ein 1922-1924 im Backsteinexpressionismus errichtetes Kontorhaus.
In den 1930er Jahren gab es in Hamburg an die 340 Paternoster-Aufzüge.
Den Höchststand erreichte die Stadt in den 1950er Jahren mit circa 500 Anlagen.
Zu Gast im Concordiahaus
Es geht weiter mit der Stadtführung Richtung Concordia-Haus welches uns mit einem beeindruckenden Entree begrüßt.

Eingangsbereich Concordia Haus
Die hier 1911 verbaute Anlage fährt in einem gläsernen Schacht, um alle Bereiche des Treppenhauses gleichmäßig mit Tageslicht zu versorgen. Ursprünglich waren die Kabinen ebenfalls mit Glasfenstern versehen, um das Licht hindurch zu leiten. Leider wurden sie in den 1960er Jahren durch geschlossene Neubauten ersetzt.

Paternoster Concordia Haus
Das Concordiahaus liegt zudem an einer sehr markanten Stelle in der Stadt, erklärt mir Robin.
In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich die letzten historischen Gebäude, welche der große Stadtbrand von 1842 verschont hat.
An Ihnen ist gut zu erkennen, wie Hamburg vor Errichtung von Speicherstadt und Kontorhäusern funktionierte.
Zur Straße hin der Wohn und Geschäftstrakt, zum Fleet hin der Lager und Produktionstrakt, um direkt aus dem Schiff beladen zu können. Ein verbindender Zwischentrakt beherbergte weiters oft die Stallungen für Nutztiere.
Die goldenen 1920er

Eingangsbereich Slomanhaus
Nun sollten wir einen der wenigen noch vorhandenen Paternoster aus der Zwischenkriegszeit besuchen. Im Sloman-Haus in Sichtweite zu Hafen und Elbphilharmonie befindet sich eine noch optisch originale Anlage aus dem Jahre 1921, welche die derzeit älteste läuffähige Hamburgs ist.

Der Paternoster im Slomanhaus
Der erste Gebäudeteil wurde 1908-1910 errichtet und 1921-1922 um einen Zubau mit Paternoster erweitert. Es war seinerzeit der größte Gebäudekomplex am Hafenrand.

Slomanhaus
Nichts mit einem Paternoster gemeinsam, aber nicht minder beeindruckend, ist auch eine andere Aufzugsanlage im Hamburger Hafen. Die Lifte des alten Elbtunnels.
Unter der Elbe
Gleich neben den Landungsbrücken an der Norderelbe befindet sich der 1911 eröffnete „alte“ Elbtunnel.

Zugangsgebäude Nordufer St. Pauli
Zwei Röhren unterqueren hier in 24 Meter Tiefe mit 426,5 Meter Länge die Norderelbe.
Die Zugänge wurden aus Platzgründen nicht mit Rampen, sondern Aufzügen und einem Stiegenhaus gelöst.
An jedem Aufgang, der wie ein Tempel wirkt und dem Pantheon in Rom ähnlich ist, verkehren vier überdimensionale Lastenaufzüge für Fahrzeuge sowie zwei Personenaufzüge.

Aufzugsgruppe auf der St.Pauli Seite
Wurden die Personenaufzüge hier bereits mehrmals modernisiert, haben die großen Lastenaufzüge ihren ursprünglichen Charme behalten. Die Benutzung ist derzeit nur für Fußgänger und Radfahrer gestattet, was die faszinierende Möglichkeit bietet auch als Fußgänger mit dem Lastenlift fahren zu dürfen.
Ein Liftwart setzt die Fahrkörbe von seinem Wärterhäuschen aus in Gang.

Wachhäuschen mit Zugang zu den Lastenaufzügen
Eine historische Aufnahme zeigt, wie sich in den 1920er Jahren die Massen vor dem Zugang der Aufzüge in St. Pauli drängen. Diese Menschenmassen waren um 1901 auch der Grund Alternativlösungen zu einem Fährbetrieb zu suchen.
Die Fährverbindungen schafften es nicht mehr, die 20000 Werft- und 25000 Hafenarbeiter zu transportieren.
Um den Schiffsverkehr nicht einzuschränken, entschied man sich zur Errichtung einer Elb- Unterquerung.

Einstiger Andrang
Am südseitigen Ufer angelangt bietet sich ein weitläufiger Ausblick auf die Hamburger Altstadt.
Zeit wird’s für eine Stärkung.
Zum Glück gibt es hier gleich einen Stand mit frischen Fischbrötchen.
Mhhh…, also Hamburg ist wirklich eine Reise wert, und das nicht nur wegen der Paternoster. Ein Dankeschön an Robin für die interessanten Stunden in Hamburgs Straßen und Kontorhäusern.

Danke dem Hamburger Paternoster Komitee für die Gastfreundschaft , von rechts: Robin , Jan, Patrick und ich
Ach ja, und was es mit dem Paternoster-Projekt von Robin auf sich hat, werdet ihr bald hier lesen können.