Paternoster Rettung – Urban Mining für fortgeschrittene
„Fliesen und Paternoster suchen ein neues Heim“, so der Titel eines Medienberichts Ende 2019. Ein neues Konzept von Kreislaufwirtschaft am Bau machts möglich.
Für uns stellt sich nun die Frage:
Sollen wir wirklich noch einen zweiten Paternoster abbauen? Macht das Sinn?
Begleite uns bei der Entscheidung.
Das ehemalige Direktionsgebäude der Wiener Elektrizitätswerke wird umgebaut.
Dort starten im Herbst die Bauarbeiten für den MedUni Campus Mariannengasse.

Umgestaltete Fassade des Gebäudes aus 1953
Vor zehn Jahren war ich das erste Mal in diesem Bürohaus, welches noch aus der Kaiserzeit stammt. Ein Bau dem man, wenn man ihn nicht kennt, keine Beachtung schenkt. Mehr Ostblock Charakter strahlt die graue Fassade aus, die 1953 dem Stil der Zeit angepasst wurde.
Auch verrichtete einer der letzten Paternoster der Stadt dort seinen Dienst.
Ich hatte das Glück, damals 2011 als Handwerker im Gebäude zu arbeiten, und einen guten Draht zum Haustechniker zu haben, sodass ich sogar in den Triebwerksraum schauen durfte.

Ich 2011 vor dem Paternoster
Große Zahnräder drehten sich unermüdlich unter leichtem Surren und Klacken. Ein charakteristisches Geräusch für den Personenumlaufaufzug, wie er so schön in Ingenieurkreisen genannt wird. Eine Kabine nach der anderen wird dabei von einem Schacht in den anderen gehievt. Doch die Anlage sollte kein langes Leben mehr haben. Ein Getriebeschaden führte 2014 dazu dass der Aufzug eingestellt werden musste. Eine Reparatur war nicht mehr geplant. Die Sperrketten an den Schachtzugängen sollten von da an für immer geschlossen bleiben.

Unterm Dach im Triebwerksraum
Ein Hauch von Elektrizitätsgeschichte
Gerade seinen hundertsten Geburtstag hatte der Aufzug noch erreicht. Die Anlage wurde 1914 vom renommierten K&K Hof- Maschinen und Aufzüge Fabrikanten Anton Freissler gefertigt und installiert.
Zu dieser Zeit wurde an diesem Standort schon das wachsende Wiener Elektrizitätsnetz verwaltet.
Durch die Kommunalisierung des Wiener Stromnetzes unter Bürgermeister Dr. Karl Lueger wurde es notwendig ein Verwaltungsgebäude zu errichten. Dessen erster Teil wurde 1906-1907 in der Mariannengasse, im 8. Wiener Gemeindebezirk, neu errichtet.

Eingangsbereich des Hauptgebäudes
Durch die Übernahme weiterer privater Elektrizitätsgesellschaften durch die Gemeinde Wien, wurde 1913-1914 ein weiterer Trakt zugebaut. Im Zuge dessen auch der Einbau eines leistungsfähigen Beförderungsmittels zwischen den Etagen erfolgte. Der Paternoster war eingezogen.
Nochmal in den 1920er und 1970er Jahren erweitert blieb der Standort dann bis 2017 in Betrieb.

Nachträglich eingebaute Personenaufzüge
Zurück blieb ein leeres Gebäude welches viel Charme in Folge von Adaptierungsarbeiten verloren hatte. Dieses Modernisierungsbedürfnis ging auch am Paternoster nicht spurlos vorüber.
Im Jahr 1978 wurden die Kabine und Portale, in Folge einer umfangreichen Sanierung der Anlage, neu verkleidet.
Darum war selbst auch mir unbekannt wie er wohl original ausgesehen hat.

Paternosterportal im Letztzustand
Ein Paternoster ist doch wohl genug
Seit diesem damaligen Besuch, schlummerte ein Gedanke in meinem Kopf: nämlich einen ganzen Paternoster abzubauen.
Doch die Vernunft drängte mich diesem Bedürfnis nicht weiter nachzugehen. Zu groß, zu schwer, mit meinen Ressourcen nicht durchführbar.
Was dann passiert ist habe ich euch vor einiger Zeit schon erzählt. Wir bekamen Anfang 2019 den schönsten Paternoster der Stadt angeboten und bauten ihn komplett ab. Ein Wahnsinnsprojekt was die Krönung der Sammlung darstellen sollte!
Hier Kannst du die Geschichte von unserem ersten Paternoster-Projekt nachlesen.

Impressionen von unserem 1. Paternosterprojekt 2019
Warum also noch darüber nachdenken einen zweiten Paternoster auszubauen?
Naja, ihr müsst wissen, bei dem damaligen Paternosterprojekt durften wir „ NUR“ alle technischen Teile mitnehmen. Die Außenverkleidungen, sprich die Eingangsportale, wurden belassen.
Aber so ein schönes Ensemble aus Portal und zwei Kabinen im Originalzustand wär doch schon was. Vor allem auch hinsichtlich des geplanten Aufzugs Kaffees.
Was ich aber auch nicht wusste: konnte man den Originalzustand der Kabinen und Portale wieder herstellen?
Im Zuge einer Modernisierung wurde alles neu mit Holz verkleidet. Die Verzierungen und Füllungen damit verdeckt.
Herr T. von der Haustechnik erzählte mir zwar damals das die Platten nur genagelt worden sind, aber ob man diese trotzdem zerstörungsfrei abnehmen kann ist fraglich.
Die Entscheidung
Mein Herz setzte sich schließlich gegen die Vernunft durch. Ich sah die Kabinen bereits vor mir und mich wie ich darin Kaffee serviere.
Und alle vom Team waren meiner Meinung: Probieren geht über Studieren!
Ich kontaktierte den zuständigen von BauKarussell, eines Konsortiums für Social Urban Mining:
„Wir würden uns für Teile der Paternosteranlage in der ehemaligen E-Werks Direktion in der Mariannengasse interessieren.“
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten:
„Guten Morgen Hr. Tauss,
ich habe mich sehr über die Nachricht gefreut, da ich Sie schon seit Monaten auf meiner Liste habe – seit dem ORF-Bericht über Ihre Sammlung.“
Eine Woche später waren wir auch bereits zu einer Vorort Besichtigung eingeladen.

Ein erster Blick
Recycling neu gedacht
Eine neuartige Idee des Urban Mining ist das Ziel der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), die den MedUni Campus Mariannengasse für die MedUni Wien errichtet.
Für möglichst viele Gegenstände und Bauteile soll eine neue Verwendung gefunden werden, bevor das Gebäude für die neue Nutzung adaptiert wird.
Das bedeutet, Fenster, Fliesen, Holzböden, Treppen und eben auch Aufzüge sollen wo anders wieder eingebaut werden. Viel nachhaltiger als alles „nur“ wie gewöhnlich zu recyceln. Das gilt auch für den Paternoster, der als solcher in neuen Bauvorhaben nicht mehr in Betrieb genommen werden dürfte, eine Wiederverwendung in anderem Kontext ist somit ideal.
Für die Umsetzung des Re-Use-Vorhabens wurde BauKarussell beauftragt; das Start-up hat das Konzept des Social Urban Mining entwickelt und bringt es seit 2017 in großvolumigen Bauvorhaben erfolgreich zum Einsatz.
Link: Erster Pressebericht über das Projekt 2019
Na schau ma mal
Herr Borszki, der Projektbeauftragte vor Ort erwartete mich bereits am großen eisernen Eingangstor, dem früheren Haupteingang.
Ideal für leidenschaftliche Sammler von Aufzügen, dieses Projekt, sagte ich nach der Begrüßung mit einem Schmunzeln.
Dachte ich mir doch schon oft, dass die Arbeit des Aufzugmuseums irgendwie auch ein Recyclingprojekt ist. Wir bauen ab was nicht mehr benötigt wird und verwenden es in neuem Kontext. Denn als Aufzug werden unsere Kabinen kaum mehr Dienst verrichten.
Bei nächster Möglichkeit spreche ich die Thematik der Verkleidungen an. Dass diese sich eigentlich abnehmen lassen müssten.
Wir probieren es, und siehe da: Die Holzspanplatten lassen sich ohne größere Beschädigungen herunterlösen. Sowohl an den Kabinen als auch am Portal.
Leider wurden allerdings an den Portalen Schmuckleisten und Zierrat entfernt um einen ebenen Untergrund für die neue Verkleidung zu schaffen.

Unter der 70er Jahre Holzverkleidung schlummert Geschichte
Wir schauten ob die fehlenden Schmuckleisten noch wo anders am Paternoster montiert sind. Und siehe da, wir fanden die nötigen Teile. Was bedeutete; wir können ein Portal wieder in den Originalzustand zurückbauen.

Paternosterportal im Originalzustand (Foto: Jan Dumno)
Herr Borszki war vom Zustand der Originalkabinen begeistert.
„Würden Sie uns mit Ihrem Team beim Ausbau unterstützen Herr Tauss?“
Ich kann euch gar nicht sagen wie mich dieses Angebot gefreut hat!
Der Gedanke dadurch alle 14 Kabinen retten zu können stimmte mich guter Dinge.
Ran an die Kabinen
Nach längerer Wartezeit legten Ragnar, David und Ich dann endlich Hand an.
Denn durch die aktuellen Ereignisse mussten wir den Projektstart um zwei Monate verschieben.
Kaum begonnen, ließen die Überraschungen nicht lange auf sich warten.
Weil im Vergleich zu dem Paternoster, welchen wir ein Jahr zuvor ausgebaut haben, war bei diesem Hersteller die Konstruktion anders aufgebaut.
Keine Stelle im Schacht wo sich die Kabinen als Ganzes herausnehmen lassen.
Fix vernietete Eisenkäfige um die Kabinen anstatt von Schrauben.
Und keine Möglichkeit die Kabinenwände einzeln abnehmen zu können.
Das kann doch nicht wahr sein! Wie haben die diese Kabinen damals nur eingebaut.
Und bei näherem Hinsehen und Nachdenken wurde uns klar wie es gewesen sein muss.
Die Holzteile der Kabinen wurden vorab zusammengebaut, als Ganzes in die bereits installierten Eisenkäfige hineingeschoben und anschließend die Portale in den Stockwerken montiert.
Und so verrückt es auch klingt, genau so haben sie es auch gemacht.
Wir werden es ihnen gleich tun, nur halt rückwärts.

Das Paternosterportal wird als erstes demontiert
Und Rückwärts bitte
Im ersten Schritt wurde das Portal im betreffenden Stockwerk entfernt. Diese waren nur mit wenigen Schrauben fixiert. Ein vorsichtiger Schnitt am Boden entlang und die Elemente konnten herausgenommen werden. Dann kamen die Kabinen an die Reihe. Das kniffligste dabei waren die eisernen Frontblenden. Diese wurden über die Stirnseite der Holzwände montiert, und mit einem Holzoptik Anstrich versehen. Dadurch waren auch keine Schrauben mehr zu erkennen.

Gefühlte 100 Schrauben müssen pro Kabine gelöst werden
Zusätzlich war die Kabine dann auch noch an allen Seiten, mittels Schrauben, mit dem Eisenkäfig verbunden. Zum Glück bin ich schlank gebaut, sonst hätte ich nie zwischen Schacht und Kabine reingepasst um sie zu lösen.
Das Verrenken im Schacht wurde aber mit einem Hinausgeleiten der Kabine belohnt. Dessen Holzteile konnten dann „gemütlich“ am Gang zerlegt werden.

Die Holzkabine wird aus dem Schacht gezogen
Ins Auto geschlichtet brauchten die Holzzeile dann nicht vielmehr Platz als ein Garderobenschrank.
Herr Borszki war begeistert dass es so gut funktioniert!
Wir ebenfalls, als wir mit vollem Lieferwagen die Reise in unser Depot antreten.

Zurück bleibt nur ein leerer Eisenkäfig
Das hätte ich mir nie gedacht dass ich diesen Paternoster einmal zerlegen werde, sagte ich zum Abschied noch mit einem Lacher hinter der Maske.
Aber wir kommen wieder! Denn auf Wunsch werden wir auch noch die übrig gebliebenen Kabinen für interessierte Käufer*innen ausbauen.
Also wenn Du so eine Kabine zuhause haben möchtest,
bitte direkt BauKarussell zu kontaktieren!
Kontakt für Anfragen: office@baukarussell.at
Website: www.baukarussell.at

Abfahrbereit Richtung Museums-Depot