Eine Besichtigung mit Folgen
Vor Weihnachten bekommen wir überraschend einen Paternoster angeboten.
Wie sollten wir mit dieser Mammutaufgabe umgehen?
Als erstes einmal dokumentieren!
Bis dato hatten wir nämlich kein einziges Bild von dieser Anlage.
Denn das Gebäude war einst Sitz einer Bank und Fotografieren somit Tabu.

Franz_und_ich_vor_dem Paternoster_Portal_im_Erdgeschoss
Punkt zwölf Uhr mittags versammelt sich unsere kleine Gruppe vor dem Hintereingang des ehemaligen Bankgebäudes.
Bepackt mit Fotoausrüstung und einer gehörigen Portion Neugier.
Baustellengitter schützen die Tore vor neugierigen Blicken. Dahinter herrscht ein reges Treiben.
Schon seit einigen Monaten sind die Demontagearbeiten im Gang.

Ehemalige_Bank_Austria_Zentrale
Die hier bis vor zwei Jahren residierende Bank Austria verlegte Ihren Sitz auf den neuen Campus im Stadtentwicklungsgebiet am ehemaligen Nordbahnhofgelände.
Und das ehrwürdige Gebäude am Ring wurde veräussert.
Als Nachnutzung sind ein Gourmetsupermarkt in der ehemaligen Kassenhalle und verschiedenste Wohn- und Büronutzungen in den oberen Etagen geplant.
Die Reaktivierung birgt jedoch einige Herausforderungen.
Zahlreiche Innenbereiche wie Kassensaal, Vorstandsetage im 1. Stock, sowie die komplette Aussenfassade samt Dachlandschaft, stehen unter Denkmalschutz und dürfen nicht verändert werden.

Blick_in_den_ehemaligen_denkmalgeschützten_Kassensaal
Da erscheint auch schon die Bauleitung um uns zu begrüßen.
Mit einem kräftigen Händedruck wird einander vorgestellt.
Nach der Eintragung ins Besucherbuch beim Portier, geht es ins Innere des Gebäudes.
Da die bestehenden Aufzugsanlagen noch in Funktion gehalten werden, gelangen wir bequem ins vierte Obergeschoss.
Beeindruckt schreiten wir durch die bereits bis auf das rohe Mauerwerk ausgeräumte Technikgeschoss am Dachboden.
Gut ist dabei die Dachkonstruktion zu erkennen, welche 1910 bereits innovativ in Stahlbetonbauweise ausgeführt wurde.

Blick_in_den_Dachstuhl_aus_Beton
Das besondere dabei: die Konstruktion gleicht noch der eines konventionellen Holzdachstuhles.
Dies schuf zusätzlich große Raumreserven in den Dachgeschossen.
Tragende Aussenmauern sind jedoch nach wie vor in Ziegelbauweise ausgeführt.
Der Rohbau wurde damals in Rekordzeit errichtet.
Die Architekten Ernst Gotthilf und Alexander Neumann, welche gemeinsam die Planung und Abwicklung des Gebäudes inne hatten, standen dabei unter starkem Zeitdruck.
Der Fixtermin für die Übergabe des Gebäudes an den Wiener Bankverein wurde nämlich vorab festgelegt und sollte im Mai 1912 erfolgen.
Schließlich erreichten wir das Stiegenhaus, wo auch der Paternoster situiert ist.
Das besondere daran, der Aufzug ist in der Stiegenspindel eingebaut.
Jedoch mit einer geschlossenen Einhausung, die aus Stahl und Glas besteht.

Paternoster_in_der_Stiegenspindel
Dies bot die Möglichkeit hier die Kabinen, ähnlich wie bei herkömmlichen Aufzügen, mit Fenstern auszustatten die Tageslichtzufuhr bieten.
Das ist eine Seltenheit bei Paternosteranlagen und dieser der einzige dieser Bauart in Wien.

Kabinen_mit_Glasfüllungen
Weiter ging es über die ebenfalls eiserne Stiege ein Stockwerk höher.
Eigentlich hätten wir nun, wie bei Paternostern üblich, den Maschinenraum erwartet.
Doch hier war es nur der Umsetzungspunkt mit den zwei riesigen Kettenrädern (Poligonscheiben), welcher uns nicht weniger in Staunen versetzte.

Oberer_Umkehrpunkt_des_Paternosters._Vorne_rechts_das_Kettenrad_(Poligonscheibe)
Interessiert zeigte sich die Bauleitung an Erklärungen über die Technik der Anlage.
Während Franz hier mit den Zuständigen fachsimpelte, widmeten David und ich uns den ersten Fotoaufnahmen und inspizierten die Technik aus der Nähe.
Hier am oberen Umsetzpunkt befindet sich auch die Spannvorrichtung der Kette.
Diese ist notwendig um Kettenglieder tauschen zu können.

Spannvorrichtung_für_die_Kette
Wenn sich also der Triebwerksraum nicht am Dachboden befindet, so muss er im Keller sein.
Doch der genaue Weg dorthin kannten nicht einmal die Zuständigen auf der Baustelle genau.
Das Stiegenhaus um den Paternoster endete im Hochparterre.
So begann die gemeinsame Suche.
Ausgerüstet mit Taschenlampen ging es in Richtung Keller.
Und von Kelleretagen gibt es in dem Haus eine ganze Menge.
Zusätzlich zum Souterrain gibt es zwei weitere Kellergeschosse, in welcher die umfangreiche Haustechnik untergebracht war.
Diese gehörte 1912 zur den modernsten seiner Zeit.
So verfügte das Gebäude unter anderem über eine Rohrpostanlage, Notstromversorgung, Heizungs-, Kühl- und Ventilationsanlagen sowie ein eigenen Hausbrunnen.
Und natürlich, wie es sich für eine Bank gehört, über riesige Tresoranlagen.
Auch bei den Aufzügen war das Gebäude am einstmaligen Stand der Technik.
Zwei herkömmliche Aufzüge und zwei Paternosteraufzüge erledigten den Personenverkehr.
Sechs Akten- und Lastenaufzüge besorgten den Warenverkehr.

Reste_eines_Aktenaufzuges
Durch die im Laufe der Zeit getätigten Modernisierungsarbeiten, blieb von allen Aufzügen original aber nur ein Paternoster übrig.
Und auch dieser war die letzten zehn Jahre nur mehr Dekoration und nicht mehr in Betrieb.
Grund dafür war das Stürzen eines Fahrgastes.
Endlich war es soweit!
Ein Schild mit den Buchstaben „TWR“ verkündete, das hinter der Türe etwas Vielversprechendes auf uns wartete.
Und wir wurden nicht entäuscht!
Vor uns erhob sich im schwachen Scheinwerferlicht eine mächtige Antriebsanlage aus mannshohen Zahnrädern welche auf einem massiven Betonsockel thronte.
Obwohl ich derartige Anlagen bereits besichtigen durfte, war diese etwas ganz besonderes.
Es stellte sich heraus, das es sich bei dieser Anlage um einen original Stigler Paternoster handelt.
Die Wiener Firma Theodor d. Ester fertigte diese in Lizenz.
Der Paternoster Baujahr 1911-1912 war noch in originalem Zustand.
Nur die elektrischen Teile wurden 1952 durch die Firma Wertheim modernisiert.
Über eine kleine Eisentreppe gelangen wir anschließend in den unteren Teil des zweigeschoßigen Triebwerksraumes.

Stiege_zwischen_den_Triebwerksraum_Etagen_und_Werkzeugtafel
Hier befindet man sich direkt unterhalb der Fahrschächte.
An den Wänden befand sich hier noch ein Regal, gefüllt mit zahlreichen Ersatzteilen für die Kabinen.
Auch eine große Werkzeugtafel, an welcher ursprünglich das Werkzeug für die Wartung verfügbar war.
Dies musste auch die Stelle sein, an welcher die Kabinen ausgehängt werden können.
Eine Erkenntnis welche für den Ausbau der Kabinen entscheidend ist.
Immerhin galt unser Besuch auch der Bewertung, wie es um einen Abbau steht.

Unterer_Umsetzpunkt_der_Personenkaninen
Da ich die Möglichkeiten für einen Abbau jedoch nicht alleine entscheiden konnte, wurde ein weiterer Besichtigungstermin gemeinsam mit Veso Skoric, unserem Aufzugdemontage Spezialisten, vereinbart.
Er konnte bereits Erfahrung mit Paternosteraufzügen sammeln und uns über unsere Möglichkeiten aufklären.
Eine Frage hingegen die ich selbst entscheiden musste war jene, welche Teile jetzt nun wirklich gerettet werden sollten.
Dem Traum einer kompletten Demontage, mit welcher eine Wiederaufbau des Paternosters in verkürzter Form möglich wäre, musste sehr schnell aus finanziellen und zeitlichen Gründen wieder verworfen werden.

Die_Museums_Crew_vor_der_Paternoster_Maschine
Der Kompromiss sah nun vor, zwei komplette Kabinen zu bergen und die entsprechende Schachttechnik für eine komplette Haltestelle.
Inklusive Führungsschienen, Ketten und zusätzlich zwei der Kettenräder für den oberen Umsetzpunkt.
So kann ein Teil des Paternosters authentisch dargestellt werden und die ehemalige Funktion vermittelt werden.
Wir legten also die Karten bei der Besprechung im Baubüro auf den Tisch.
Wohlwollend wurde unseren Plänen zugestimmt.
Mit Handschlag verabschieden wir uns.
Ich kann es immer noch nicht glauben, bald werden wir einen Paternoster in der Sammlung haben!