Entdeckungsreise mit Nervenkitzel - Wiener Aufzug Museum
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Entdeckungsreise mit Nervenkitzel

 

Ein Dachboden eines unter Denkmalschutz stehenden Münchner Wohnhauses soll ausgebaut werden. Das wäre nicht weiter ungewöhnlich.

Außergewöhnliche ist hier jedoch ein Lift, welcher noch original aus der Errichtungszeit des Gebäudes stammt und seit Jahrzehnten sein Dasein stillgelegt im Verborgenen verbrachte. Nun soll die Aufzuganlage stilsaniert und mit neuer Technik wieder in Betrieb genommen werden.

Die historische Originaltechnik ist zu dokumentieren und soll einem Museum übergeben werden, so eine Auflage der Denkmalschutzbehörde. (oder: des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege)

Das ruft uns auf den Plan. Auf gehts nach München.

 

Ein vorsichtiger Blick in die Kabine

Ein vorsichtiger erster Blick in die Kabine

 

Vor dem Portal eines im Historismus gehaltenen Wohnhauses in München Schwabing, Baujahr 1911, erwartet uns Herr Christian Bayer. Er ist als Architekt mit dem Projekt der Aufzugsanierung und des Dachbodenausbaues betraut und kontaktierte mich, ob Interesse an der Aufzug-Maschine für unser Museum bestünde.

 

Historismus Häuserzeile in München-Schwabing

Historismus Häuserzeile in München-Schwabing

 

Gepackt von Neugier und Tatendrang sitze ich bereits eine Woche später im Nachtzug nach München, um gemeinsam mit Jan Dumno, einem guten Hobbykollegen und Experten aus Deutschland, die Anlage zu inspizieren.

 

Wir betreten das Gebäude über eine weitläufige Treppe, die hinauf ins Hochparterre führt – obwohl es hier, im Gegensatz zu Wien, schlicht „Erdgeschoss“ heißt. Begleitet vom Geruch alten Holzes erreichen wir den Treppenansatz des eigentlichen Stiegenhauses. Gut versteckt liegt hier der Lift hinter einer unscheinbaren Holztüre verborgen.

 

Blick auf die Stiege ins "Hochparterre" mit Lift

Blick auf die Stiege ins „Hochparterre“ mit Lift

 

Ursprünglich war das Wohnhaus ohne Personenlift geplant worden. Erst kurz vor der Errichtung wurde dieser dazu geplant, erklärt uns Herr Bayer.

Hersteller der Anlage war die gewisse Firma Kühnscherf aus Dresden. München hatte zu Anfang des 20. Jahrhunderts keinen bedeutenden, eigenen Aufzugbau, so dass Firmen aus ganz Deutschland ihre Aufzüge hier verkauften.

 

 

 


Die Firmengeschichte der Kühnscherf`s

 

Die „Spezialfabrik für Aufzüge Aug. Kühnscherf & Söhne“ geht auf den 1840 von Carl Friedrich August Kühnscherf in Dresden gegründeten Schlossereibetrieb zurück. Der Betrieb wächst bis 1860 zur größten Schlosserei Dresdens heran und Kühnscherf gilt als der „Schlosserkönig Dresdens“. Bereits um 1870 werden die ersten Aufzüge gebaut.

 

"Original" August Kühnscherf & Söhne Aufzug Schild unseres Münchener Aufzuges

„Original“ August Kühnscherf & Söhne Aufzug Schild unseres Münchener Aufzuges

 

1877 verlässt derjenige der drei Söhne, der den Namen des Vaters August trägt, den elterlichen Betrieb und erwirbt die „Eisengießerei und Hutformfabrik F. Wachsmuth“ in Dresden. Er führt diese unter dem Namen „A. Kühnscherf jun., früher F. Wachsmuth“ weiter.

 

Zunächst werden die familiären Beziehungen zum Vorteil beider Betriebe genutzt, so stellt der Junior in der ehemaligen Wachsmuths’schen Fabrik Gussteile für den elterlichen Aufzugbau her. Dass A. Kühnscherf jun. die dazu überlassenen Gussformen nun auch verwendet, um selbst in den Aufzugbau einzusteigen, ist die Wurzel von Streit und eines innerfamiliären Konkurrenzkampfes im und jenseits des Graubereichs.

 

Spuren dieses Zerwürfnisses finden wir auch bei unserem Münchner Aufzug: Der erste, echte und wahre Kühnscherf kennzeichnet sein Produkt auf dem Fabrikschild fett und unterstrichen als „Original Kühnscherf-Aufzug“ und unterstreicht auch den unterscheidenden Zusatz zum Firmennamen „und Söhne“.

 

Aufzug-Schild der Kühnscherf Junior Firma

Aufzug-Schild der konkurrierenden Kühnscherf Junior Firma (Foto: Sammlung Elevatormuseum)

 

Die Konkurrenz bleibt bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bestehen, als nach Übernahme durch die Dresdner Gasmotorenfabrik der kriegsbedingte Einbruch der Nachfrage schließlich zur Aufgabe des Aufzugbaus beim Widersacher führt.

 

Der originale „Aug. Kühnscherf und Söhne“ – Betrieb wird 1945 ausgebombt, nimmt aber in der frühen Nachkriegszeit noch einmal die Tätigkeit in der Reparatur von Aufzügen auf, bis er 1952 in der DDR verstaatlicht wird.


 

Ein erster Blick

 

Herr Bayer öffnet die unauffällige Schachttür im Erdgeschoss und vor uns liegt ein circa eineinhalb mal eineinhalb Meter großer Schacht. Als Unterschied zu den Wiener Anlagen dieser Zeit fällt mir und Jan sofort das hier im Schacht an eigenen Führungsschienen geführte Gegengewicht auf. Ebenso wies mich Jan auf die Türverriegelung hin.

 

Herr Bayer beim öffnen der Lifttüre

Herr Bayer beim öffnen der Lifttüre

 

„Schau mal Christian, die sind mit zwei Riegeln ausgestattet. Einer wird durch die Kabine im Schacht entriegelt, der andere durch ein an einem Hubmagneten eingehängtem Seil. So war es nicht möglich die Türen beim Durchfahren der Kabine von außen zu öffnen.“

 

Auch die Kontakte für eine elektrische Türüberwachung sind hier schon vorhanden.
In Deutschland gab es in den Bundesstaaten des Deutschen Reichs bereits oft strengere Vorschriften in puncto Sicherheit als in Österreich.

 

Türverriegelung für die Schachttüre

Türverriegelung für die Schachttüre

 

Herr Bayer lauscht unseren Ausführungen sehr interessiert, denn er ist damit beauftragt, für das Denkmalamt eine Dokumentation über die historische Anlage zu erstellen.
Auch die ein oder andere Hauspartei blickt interessiert in den Schacht, der sich bisher allen Blicken entzogen hatte.

 

Blick in den Aufzug-Schacht

Blick in den Aufzug-Schacht

 

Schaute man im Schacht nach oben, konnte man schon im 3. Stockwerk die hölzerne Kabine erkennen. Ihr galt unsere Aufmerksamkeit als Nächstes.

 

In der Kabine

 

Ansicht der Kabine bei geöffneter Türe

Ansicht der Kabine bei geöffneter Türe

 

Christian Bayer wusste schon genau, wo Hand anzulegen ist. Mit Abschrauben der Scharniere und Entfernen der Eichenfurnierten-Türe, gelingt uns rasch der Zutritt zur Kabine.
Diese ist sehr schlicht mit einfachen Füllungen in Kirschfurnier ausgeführt. Ein an der Rückwand eingelassener Spiegel vergrößerte optisch den Raum. Seitliche Holzleisten an den Wänden ließen den Rückschluss zu, dass sich hier original eine Sitzbank befunden hat.
Eine Hauspartei aus dem Stockwerk bestätigt uns diese Vermutung.

 

Innenraum der Lift-Kabine

Innenraum der Lift-Kabine

 

Unter Dach

 

Die Hände vom dicken Staub der Vergangenheit bereits geschwärzt, hält uns nun nichts mehr davon ab, den Triebwerksraum zu inspizieren. Über eine schmale Leiter gelangen wir auf den Dachboden, welche von den Ausmaßen an den einer Kirche erinnert.

 

Darin befindet sich ein kleiner abgeteilter Bereich, der Triebwerksraum.
Architekt Bayer weist uns aber auf eine weitere konstruktive Besonderheit hin:
Über dem Treppenhaus befindet sich ein massiver Betonblock, welcher als Stabilisierung für das Aufzugtriebwerk dient.

 

Der Aufzugschacht selbst wurde durch die späte Zuplanung einfach den Wohneinheiten abgerungen und nur durch eine 10- 15 Zentimeter starke Ziegelwand abgemauert. Dadurch war hier keine Voraussetzung gegeben, das Gewicht des Triebwerks aufzunehmen.

 

Dachboden mit abgeteiltem Triebwerksraum (dahinter ist ein Teil des Betonblocks sichtbar)

Dachboden mit abgeteiltem Triebwerksraum (dahinter ist ein Teil des Betonblocks sichtbar)

 

Genau dieser Betonblock muss jedoch entfernt werden, denn im ungenützten Dachraum sollen unter Beibehaltung der originalen Dachkonstruktion die drei Wohnungen des 4. Geschosses zu Maisonette-Wohnungen erweitert werden. Die Schaffung separater Wohneinheiten würde eine einen zweiten Fluchtweg durch Vergrößerung der Fenster (in den Zwerchgiebeln) nötig machen, was der Denkmalschutz aber verbietet.

 

Im Triebwerksraum

 

Durch eine Eisentüre welche, mit den Buchstaben „F S“ (vermutlich für „Fahrstuhl“ stehend) gekennzeichnet ist, betreten wir eine andere Welt. In Tischhöhe liegt vor uns unter einer dicken Staubschicht die Aufzugmaschinerie.

 

Der erste Blick auf das seit 1945 still stehende Triebwerk

Der erste Blick auf das seit 1945 stillstehende Triebwerk

 

Was dem geschulten Auge gleich auffällt, war mit Sicherheit der Grund für das Stillstehen. Eine gusseiserne Umlenkrolle war gebrochen. Ein faustgroßes Loch in der Putzdecke legt die Vermutung nahe, dass hier ein Fremdkörper durch das Dach eingeschlagen sein muss. Wohl ein Granatsplitter im Bombardement während des Zweiten Weltkriegs.

 

Die beschädigte Umlenkrolle

Die beschädigte Umlenkrolle

 

Auf Knopfdruck

 

Und auch eine technische Frage geht uns im Kopf umher. Wie hat denn wohl dieser Hersteller die Konstruktion eines Aufzuges mit elektrischer Druckknopfsteuerung gelöst?
Was uns nämlich aufgefallen ist, Abwärtsfahren und das Rufen des Lifts aus jedem Geschoss war hier bereits möglich.

 

Original Werbung für die Druckknopfsteuerung (links)sowie das Tablou in der Kabine (rechts)

Original Werbung für die Druckknopfsteuerung (links), sowie das Tablou in der Münchner Kabine (rechts)

 

Um dies zu bewerkstelligen, wurde ein sogenanntes Kopierwerk verbaut. Die Bezeichnung rührt daher, weil in diesem Gerät die Bewegung der Kabine im Kleinen nachempfunden wird. Somit können alle Steuerschalter leicht zugänglich im Maschinenraum verbaut werden und nicht im Schacht.
Ansonsten waren alle Komponenten konstruktiv ähnlich zu den Wiener Anlagen. Optisch wirkte es jedoch recht zusammengestoppelt und chaotisch.

 

Das Kopierwerk

Das Kopierwerk

 

Besonders gewagt konstruiert war das Gestell, auf welchem das Kopierwerk angebracht wurde.
Da am gemauerten Sockel kein Platz mehr war, wurde einfach ein primitiver Holztisch zusammengezimmert.

 

Der Holztisch des Kopierwerkes - nicht gerade professionell

Der Holztisch des Kopierwerkes – nicht gerade professionell

 

Was in jedem Triebwerksraum neben der Maschine noch interessant ist: Die Spurensuche in den Sedimenten der Jahrzehnte, des Jahrhunderts. Um mehr über die Umstände des Betriebs oder auch das Einstellungsdatum zu erfahren, gilt es, genau hinzusehen.
Oft sind es kleine, achtlos weggeworfene Papierstücke, welche interessante Notizen beinhalten und uns Puzzlestücke alter Geschichten liefern.

 

Spannende Fundstücke finden sich in den Winkeln des Triebwerksraumes

Spannende Fundstücke finden sich in den Winkeln des Triebwerksraumes

 

Womit wir nicht gerechnet hatten: Unterhalb dieses Holztisches taucht eine alte Schmieröldose eines bekannten amerikanischen Unternehmens auf. Ein besonders plakatives Fundstück.

 

Ein besondere Triebwerksraum Fund

Ein besondere Triebwerksraum Fund

 

Bombenalarm?

 

Aber Moment mal, was ist denn das? Die Rückseite der Dose ist komplett verrußt!
Bei näherem Hinsehen erkannten Jan und ich, dass es am Boden einmal einen Schwelbrand gab.
Der hintere Teil des Tischgestells sowie ein Teil des Bodens ist richtig verbrannt, sodass eine Kuhle im Fußboden zurückgeblieben war. In dieser Grube lag ein seltsamer Gegenstand.

 

Das Teil welches wir als Sprengkopf einer Bombe vermuteten

Das Teil welches wir als Sprengkopf einer Bombe vermuteten (Foto: Jan Dumno)

 

Zuerst tippten wir auf einen Granatsplitter, der auch das Umlenkrad beschädigt hatte. Doch der wie ein Bündel verschnürte Klumpen war ohne Brandspuren und somit wohl nachträglich dort gelandet.

Zur Sicherheit schickt Herr Bayer Fotos des Fundstücks aber doch an die Fachstelle für Kampfmittelbeseitigung des Bayerischen Innenministeriums, um ganz sicherzugehen.

Dessen Bericht erreicht uns mit einem eindeutigen Ergebnis:
Der Gegenstand wurde „zweifelsfrei als Teil einer Klingelanlage des 19. Jahrhunderts“ identifiziert.

 

Na Herrschaftszeiten, würden die Bayern da sagen, dass wir da nicht drauf gekommen sind!

 

Nach diesem Schreck durstet es uns allen nach einer Stärkung. In einem nahegelegenen Gastgarten fanden Weißbier und Eiskaffee auf den Tisch. Eine perfekte Österreichisch-Bayrische Symbiose, um dieses Abenteuer zu begießen.

 

Jan Dumno -elevatormuseum.de (links), ich Christian Tauss - Wiener Aufzugmuseum (mitte), Christian Bayer -bauwerkpluss (rechts)

Jan Dumno -elevatormuseum.de (links), ich Christian Tauss – Wiener Aufzugmuseum (mitte), Christian Bayer -bauwerkpluss (rechts)

 

Ein Prost auf die Bayern und ihre Lifte – und auf die Sachsen, welche diesen speziellen Lift nach München brachten!

 

Danke Christian Bayer von bauwerkplus für die Gastfreundschaft und Möglichkeit zur Besichtigung und Dokumentation.

 

https://bauwerkplus.de

https://www.facebook.com/elevatormuseum/